Warum wir nicht tun, was wir wissen – Transformatives Lernen

Immer wieder gibt der Mensch Geld aus, das er nicht hat, für Dinge, die er nicht braucht, um damit Leuten zu imponieren, die er nicht mag.

Jede Person, die schonmal versucht hat, mehr Bücher zu lesen oder mehr Geld zu sparen weiß, wie herausfordernd Verhaltensänderungen sein können. Besonders Routinen, mit denen wir schon seit vielen Jahren vertraut sind, scheinen manchmal schier unmöglich zu brechen sein. Trotzdem sind Verhaltensänderungen ein normaler Part des Lebenslaufes eines jeden und mit Blick auf Nachhaltigkeit wird häufig die Wichtigkeit des individuellen Handelns betont.

Diese Notwendigkeit ist auch in der Agenda 2030 der UNESCO verankert: Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (kurz: BNE) hat sich als zentraler Faktor für das Erreichen der Ziele herauskristallisiert. Durch BNE sollen jedem ermöglicht werden, zukunftsstarke nachhaltige Kompetenzen zu entwickeln (UNESCO 2021, S. 14). Dafür sollen z. B. auch in Schulen nachhaltige Fähigkeiten gelehrt werden, durch die Jugendliche ihr eigenes Handeln anpassen können.

Für Erwachsene gibt es allerdings meist weniger Möglichkeiten zu Lernen, wie sie ihr privates Leben nachhaltiger gestalten können. Handlungstransformationen basieren deswegen häufig auf eigenen Bemühungen, die aktiv verfolgt werden müssen, um langfristig zu funktionieren. Gleichzeitig haben sich bisherige Routinen meist bewährt und tragen zudem zu unserer Identität bei (Schüßler 2008, S. 3). 

Wie schaffen wir es also trotzdem, einen Teil für Nachhaltigkeit beizutragen?

Die Antwort? - Transformatives Lernen und BNE

Ein Ansatz, der Verständnis für individuelle Lernprozesse schafft, ist die Theorie des Transformativen Lernens, die in den 1990er Jahren von dem US-Amerikanischen Soziologen Jack Mezirow begründet wurde. Ausgelöst durch ein Dilemma hinterfragt eine Person kritisch ihr Verhalten und ihr bisheriges Selbst- und Weltbild. Alleine und im Austausch mit anderen Personen erweitert sie daraufhin ihr Wissen und wendet dieses an. Dieser Prozess läuft nach einem bestimmten Schema ab, wobei die Schritte jeweils aufeinander aufbauen (s. Abbildung). Die Schritte sind zudem in drei übergreifende Phasen einteilbar: Dekonstruktion bisheriger Ansichten, Rekonstruktion von Perspektiven und Integration dieser in das eigene Leben. Wichtig ist dabei Zugang zu einem sozialen Raum, der offenen Austausch und Ausprobieren zulässt (Mezirow 2008).

Mezirows 10 Phasen des Transformativen Lernens. 1. Desorientierendes Dilemma 2. Selbstreflexion 3. Kritische Beurteilung 4. Erkennung geteilter Erfahrungen​​ 5. Erkundung​ 6: Planung der nächsten Schritte​ 7. Aneignung von neuem Wissen ​8. Ausprobieren neuer Rollen​ 9. Aufbau von Selbstvertrauen​ 10. Reintegrierung​
Eigene Darstellung, angelehnt an İzmirli 2014

Mezirows Ansatz wurde von unterschiedlichen Theoretikern weiterentwickelt (z. B. Brookfield 2000 und O’Sullivan 2002) und hat seitdem eine bedeutende Rolle in BNE und Erwachsenenbildung angenommen. Durch transformatives Lernen können Fähigkeiten wie kritisches, strategisches und  vorausschauendes Denken oder Selbstkompetenz entwickelt werden. Diese individuellen Fähigkeiten können dann in Verbindung mit BNE in einen gemeinschaftlichen Zusammenhang gesetzt werden (Rieckmann 2021, S. 12 f.). 

Ein Beispiel dafür, wie dieser Ansatz in Bildung umgesetzt wird liefert die Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. 

Mehr über „Bildung in fragilen Zeiten“ kannst du auch hier nachlesen. „Bildung in fragilen Zeiten“ von Silja Graupe und Lukas Bäuerle (2022).

Eigene Verhaltenstransformation

Nach der Erkenntnis, dass das eigene bisherige Verhalten nicht mehr mit neuen Einsichten übereinanderstimmt sind wir häufig ratlos, wie wir nun weitermachen sollen. Glücklicherweise gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten um sich online oder offline mit anderen zu vernetzen. So lassen sich auch Gemeinschaften finden, die sich mit der gewünschten Thematik beschäftigen. Beim Thema Nachhaltigkeit z. B. Gemeinschaftsgärten.

Zentraler Erfolgsfaktor für Verhaltensänderungen ist beim Transformativen Lernen der konstruktive Austausch mit anderen Personen und das Ausprobieren von neu Gelerntem. Wichtig ist dabei auch eine offene Fehlerkultur, die früheres und zukünftiges Verhalten nicht verdammt. So können wir auch andere dabei unterstützen, diesen Transformationsprozess zu durchlaufen.

Mezirow (2008, S. 103 f.) stellt unterschiedliche Wege vor, durch die wir unser Denken und Handeln weiterentwickeln können. Zu diesen gehören u. A.:

  • Sich selbst und andere als selbstständige und verantwortungsvolle Akteure verstehen.
  • Bewusste Bemühungen haben, Neues zu lernen.
  • Die Teilnahme an reflektiven Diskussionen, um bisherige Ansichten zu überprüfen und hinterfragen.
  • Sich bei Gesprächen die eigenen und fremden Ansichten/Intentionen bewusst machen und den Inhalt der Dialoge darauf aufbauend hinterfragen.
  • Vorstellen, wie und warum Dinge anders sein könnten, als sie momentan sind.

Wenn dich das Thema Transformatives Lernen interessiert oder du mehr darüber lernen willst, wie du Verhaltenstransformationen unterstützen kannst, schau doch ins Literaturverzeichnis rein oder informiere dich über die weiterführende Literatur weiter:

Literaturverzeichnis:

Brookfield, Stephen (2000): Transformative learning as ideology critique. In Mezirow, Jack. (Hg.): Learning as transformation: Critical perspectives on a theory in progress. San Francisco: Jossey-Bass, S. 125 – 148.

İzmirli, Özden Şahin; Kabakci, Isil (2014): Investigation of Prospective Teachers’ Information and Communication Technology Integration Practices in Terms of Transformative Learning Theory. In: Educational Sciences Theory & Practice 14 (6), S. 2293-2303

Mezirow, Jack (2008): An overview on transformative learning. In: Jim Crowther und Peter Sutherland (Hg.): Lifelong Learning: Routledge, S. 90–105.

O’Sullivan, Edmund (2002): The Project and Vision of Transformative Education: Integral Transformative Learning. In: ders. et al (Hg): Expanding the Boundaries of Transformative Learning. Essays on Theory and Praxis. New York: Palgrave, S. 1 – 12.

Rieckmann, Marco (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ziele, didaktische Prinzipien und Methoden. In: merz – Zeitschrift für Medienpädagogik 65 (4), S. 10–17.

Schüßler, Ingeborg (2008): Reflexives Lernen in der Erwachsenenbildung – zwischen Irritation und Kohärenz. In: bildungsforschung 5 (2), S. 1–22.

UNESCO (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung – Eine Roadmap. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission e.V.

Weiterführende Literatur:

Bormann, Inka et al. (2022): Transformatives Lernen durch Engagement – Soziale Innovationen als Impulsgeber für Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Abschlussbericht. In: TEXTE 54.

Boström, Magnus et al. (2018): Conditions for Transformative Learning for Sustainable Development: A Theoretical Review and Approach. In: Sustainability 10 (4479).

Rost, Jürgen (2002): Umweltbildung – Bildung für nachhaltige Entwicklung. Was macht den Unterschied? ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 25 (2002) 1, S. 7-12. In: ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 25 (1), S. 7-12.

Singer-Brodowski, Mandy (2016): Transformative Bildung durch transformatives Lernen. Zur Notwendigkeit der erziehungswissenschaftlichen Fundierung einer neuen Idee. In: ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 39 (1), S. 13–17.

Graupe, Silja & Bäuerle, Lukas (2022):Bildung in fragilen Zeiten. Working Paper Serie des Instituts für Ökonomie Nr. 70 7/2022 

 

Die Inhalte dieser Seite wurden im Rahmen des Lehrforschungsprojekts 2023/24 von Mara Nowicki erarbeitet.